Chronik

„Turnvater“ Jahn und der TSV Zornheim

Mitte des 19. Jahrhunderts erwachte überall in Deutschland der Wunsch nach einem einigen Deutschland. Es entstanden Gesang- und Turnvereine. Dazu gehörte auch der Männergesangverein, der 1845 in Zornheim gegründet wurde. Die Turnvereine knüpften an die Gedanken und Ziele des „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn an. Turnen sollte Körper und Charakter bilden und damit auch die Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes stärken. Verbunden mit dem Turnen waren aber auch politische Aspekte. Es sollte Angelegenheit des ganzen Volkes werden, die Standesunterschiede und auch die Kleinstaaterei in Deutschland zu überwinden. Schwarz-Rot-Gold wurde das Symbol des deutschen Einheitsgedankens. Die damaligen Landesfürsten standen den Vereinsgründungen skeptisch gegenüber, weil sie eine Wiederholung der 1848er-Revolution befürchteten.

Am Sonntag, den 22. Juni 1862 zog eine Gruppe junger Zornheimer mit Brustbändern in den Farben Schwarz-Rot-Gold vom Wirtshaus Gläser aus durch den ganzen Ort zu einem Turnplatz, den es damals außerhalb des Ortes schon gab. Der Zornheimer Ortschronist, Gottfried Kneib, schrieb in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des TSV, dass Bürgermeister Jakob Knußmann das Geschehen ohne einzugreifen beobachtete. Darüber informierte der Bürgermeister einen Tag später das Großherzogliche Kreisamt in Mainz, das damals zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt gehörte. Dieses lehnte weitere Aufmärsche und die Turnvereinsgründung ab, da man hiervon revolutionäre Bestrebungen erwartete. „Der Trommelschläger war Jakob Zimmermann, Sohn des Gemeinderatsmitglieds Jakob Zimmermann III von hier. Dass durch dieses Gebaren die Gemeinde in Aufregung kam, lässt sich leicht denken. Jedoch war dies Aufziehen nicht bösartig, aber wir können dies nicht so gleichgültig geschehen lassen; denn es wird dies baldigst ausarten, zudem ein Singverein (= Männergesangsverein) hier besteht.“

Die Gründung eines Turnvereins wurde unter Strafe gestellt. Was aus den ursprünglichen Plänen für einen Turnverein geworden ist, lässt sich nicht mehr klären. Die versuchte Vereinsgründung erreichte aber eine überregionale Aufmerksamkeit. Dies belegt eine Inschrift im Denkmal zu Ehren des „Turnvater Jahn“, das am 18. August 1872 in der Berliner Hasenheide eingeweiht wurde. 139 Turnvereine aus aller Welt spendeten Steine als Unterbau für das Denkmal. Einer der größten Steine ist in der Mitte des Denkmals zu finden. Er stammt vom „Rheinhessischen Bezirk des Mittelrheinischen Turnverbandes 1862“. Zornheim ist eine von 20 dort namentlich aufgeführten rheinhessischen Gemeinden.

Gründung des TSV am 1. August 1895

Erst 33 Jahre nach der versuchten ersten Vereinsgründung und 23 Jahre nach der Erwähnung von Zornheim im Jahn-Denkmal in Berlin, war es dann so weit: Am 1. August 1895 gründeten 50 Zornheimer Bürger den „Turnverein Zornheim“. Nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 hatte sich das politische Klima geändert, der Gründung von neuen Vereinen stand keine Obrigkeit mehr im Wege. Der erste Präsident wurde Heinrich Kneib III. Der Bürgermeister und Ökonomierat Jean Sieben stellte dem Verein eine Parzelle seines vom Mainzer Universitätsfonds angemieteten Ackers am Ortsrand von Zornheim als Turnplatz zur Verfügung.

Die Jahre bis zum 1. Weltkrieg waren geprägt durch den stetigen Aufbau des jungen Vereins. Die Zahl der Mitglieder nahm kontinuierlich zu. Turnerische „Entwicklungshilfe“ leistete ein Turnwart aus Hechtsheim. Er kam zwei- bis dreimal in der Woche zu Fuß nach Zornheim und brachte den Sportbegeisterten Grundbegriffe des Turnens bei – mit Erfolg. Bei Turnwettkämpfen im eigenen Turngau und in Nachbargauen konnten Zornheimer Turner die ersten Erfolge feiern. Ab 1902 gab es ihm Rahmen eines Turnfestes in Zornheim die erste Fahnenweihe. Daran beteiligten sich aus Zornheim der Männergesangverein MGV 1845, der Kriegerverein und die Freiwillige Feuerwehr und darüber hinaus 19 auswärtige Turnvereine.

Nachdem die Zahl der Mitglieder binnen kurzer Zeit auf 100 aktive Turner, 20 Jugendliche sowie 40 Turnfreunde und Ehrenmitglieder angestiegen war, wurde am 1. September 1901 sogar ein Aufnahmestopp verhängt. Der Turnverein wurde zum aktivsten Verein in Zornheim. Neben Turnfesten wurden zahlreiche Dorffeste veranstaltet und obendrein noch Konzerte und Bälle an Fastnacht und Weihnachten. Während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 ruhte die Vereinsarbeit.

Zwischenkriegszeit

Nach dem Ersten Weltkrieg entfalteten die Turner unerwartet schnell wieder ein aktives Vereinsleben. Bei der ersten Generalversammlung am 23. März 1919 wurde das 25-jährige Stiftungsfest im Jahr 1920 vorbereitet. Dieses fand am 25. Mai in einer Blechbaracke an der „Endstation Zornheim“ statt, die im Zuge der Kriegsplanungen als Lagerplatz für Materialien zum Bau der Selzstellung diente. Die große Inflation in den Jahren 1922/1923 verschlechterte binnen weniger Monate die finanzielle Lage dramatisch. Der Verein konnte die Stromrechnung für das Wintertraining im Vereinslokal nicht mehr aufbringen. Der Trainingsbetrieb wurde deshalb auf den Sonntagnachmittag verlegt. Ende 1923 betrug der Monats-beitrag 50 Milliarden Mark! Nach der Währungsreform 1924 normalisierte sich die Lage und die Vereinsfinanzierung konnte wieder sichergestellt werden. Noch im gleichen Jahr eröffnete der Turnverein mit einem Festakt den neuen Turnplatz an der Breiten Straße. Das Gelände wurde zunächst gepachtet. Vier Jahre später konnte der Verein den Turnplatz mit anliegendem Gelände käuflich erwerben.

In den Folgejahren ließ das Interesse am Turnen deutlich nach, der Mannschaftssport wurde immer beliebter. So gründete sich 1926 eine Handballmannschaft. Drei Jahre später kam Fußball dazu. Vereinseigene Widerstände mussten hierfür allerdings überwunden werden. Die Fußballer durften zunächst nicht auf dem Vereinsgelände spielen. Diese Haltung änderte sich im Laufe der Zeit. Bereits 1931 spielte man z.B. gegen die Eintracht aus Frankfurt.

Im Dritten Reich übernahmen Anhänger der NSDAP zunehmend den Verein. Andere Mitglieder zogen sich aus dem Vereinsleben zurück. 1935 wurde der Verein aufgelöst.

Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg

Das Turner- und Sportlerleben in Zornheim ruhte über ein Jahrzehnt. Der Krieg forderte erhebliche Opfer auch unter den Vereinsmitgliedern. Das 50-jährige Bestehen im Jahr 1945 wurde nicht gefeiert. In den allgemeinen Nachkriegswirren gab es hierfür keine Bereitschaft. Erst ein Jahr später, am 13. April 1946, wurde der Verein von 59 Zornheimern unter dem Vorsitz von Hans Kron wieder gegründet. Er wurde 1950 unter dem neuen Namen „Turn- und Sportverein 1895 e.V. Zornheim“ in das Vereinsregister eingetragen. Die wirtschaftliche Not machte auch vor dem TSV nicht halt. Das bescheidene Vereinsvermögen ging mit der Währungsreform 1948 fast gänzlich verloren. Im Mittelpunkt der sportlichen Aktivitäten standen die Fußballer. Diese tauschten in Mainz Wein gegen die ersten Trikots ein. Auch sportlich waren sie erfolgreich und holten 1949 den Kreismeistertitel.

In den 50er Jahren normalisierte sich das Vereinsleben. Die Bedeutung des TSV im gesellschaftlichen Nachkriegsleben wurde immer wichtiger. 1964 baute der Verein seine vereinseigene Sportplatzanlage an der Breiten Straße aus. Es entstanden Umkleidekabinen, Duschen und Toiletten sowie eine Flutlichtanlage. 1969 ging mit der Gründung einer Damengymnastikabteilung ein alter Wunsch des Vereins in Erfüllung. Damit konnte die Sparte Turnen wieder aktiv im Vereinsleben verankert werden.

Stürmische Entwicklung in den 70er und 80er Jahren

Besonders dynamisch verliefen die Jahre 1976 bis 1984. Durch die Erschließung des Baugebietes Zornheim Nord ab 1974 verdoppelte sich die Einwohnerzahl in kürzester Zeit. Davon profitierte auch der TSV. Die Mitgliederzahl überstieg erstmals die Zahl 1.000. Mit dem Bau einer neuen Mehrzweckhalle und der Einweihung einer neuen Sportanlage an der Hahnheimer Straße im Jahr 1983, wurde das Sportangebot in der Halle und im Freien erweitert. Zu der bereits 1969 gegründeten Gymnastikabteilung für Frauen und Mädchen wurden erstmals auch Tischtennis und Volleyball angeboten. 1979 kamen Jazztanz dazu. 1981 folgte die Leichtathletikabteilung. In Eigenregie wurde das heutige Sportlerheim gebaut und im Mai 1985 eingeweiht.

Im Juni 1995 feierte der TSV sein 100-jähriges Jubiläum. Höhepunkt war das Gauturnfest auf dem Sportplatz und der Festumzug am Pfingstsonntag. In der Festschrift zum Jubiläum stellte Werner Dexheimer, später Vorsitzender und seit Februar 2019 Ehrenvorsitzender des TSV, eine seit Jahren rückläufige Mitgliederzahl fest. Die neue Badmintonabteilung erweiterte das Sportangebot und brachte neue Mitglieder. Entscheidend für die Mitgliederentwicklung war jedoch die deutliche Erweiterung des Fußballangebotes. Durch den Verkauf des vereinseigenen alten Sportplatzes am freien Markt konnte der neue Sportplatz erneuert und erweitert werden. 1998 wurde aus dem Hart- ein Rasenplatz, ein Kleinfeldfußballplatz kam dazu. 2005 konnte ein neuer Kunstrasenplatz sowie die Kunststofflaufbahnen, ein Beachvolleyballfeld, ein Bouleplatz sowie die Brunnenanlage inkl. Zisternen zur Bewässerung der Gesamtanlage eingeweiht werden.

Diese Chronik schrieb der TSV-Schriftführer Harald Olschok-Tautenhahn für die Festschrift zum 125-Jährigen Jubiläum des TSV Zornheims.


Bildbeschreibungen

Bild 1: Jahn-Denkmal in Berlin (Quelle)

Bild 2: Die Gründer des TSV 1895 Zornheim (die beim 25-jährigen Stiftungsfest 1920 noch lebten)

Bild 3: Turnfest im Jahr 1921

Bild 4: 1. Mannschaft TSV Zornheim, Kreisklassenmeister 1949

Bild 5: 75 Jahre TSV Zornheim, Pfingsten 1971: Alte Herren und Aktive